Mediation in der Praxis – Interview mit Christine Kirchner

In unserer Reihe „Mediation in der Praxis“ erhalten Sie spannende Einblicke in verschiedene Anwendungsbereiche der Wirtschaftsmediation. Für diesen Beitrag haben wir ein Interview mit Christine Kirchner geführt, Teilnehmerin der 30. Ausbildung in Wirtschaftsmediation bei Zweisicht (2020/2021). Nach ihrem Studium der Betriebswirtschaftslehre und einem Master in Personalentwicklung hat sie sich 2004 als Coach im Bereich der Organisationsentwicklung selbstständig gemacht.

1.    Was hat Dich dazu bewogen, die Ausbildung in Wirtschaftsmediation zu machen?

Im Grunde hatte ich schon oft mit der Ausbildung in Wirtschaftsmediation geliebäugelt; Konflikte interessieren mich von jeher. Das hat zum einen mit meiner familiären Prägung zu tun. Bei uns war es einfach üblich, dass Unstimmigkeiten angesprochen wurden und ein Bemühen um Lösungen alle anging. Zum anderen wuchs ich in einer Zeit auf, in der die Friedensbewegung in den Medien sehr präsent war. Kommunikationsprozesse interessieren mich also grundsätzlich sehr. Auch in der Supervision, im Coaching oder in der Organisationsentwicklung sind diese elementar. Interessanterweise nahmen nach meiner Beobachtung die Konfliktdynamiken bei meinen Kunden zu. Gesellschaftlich hat sich meines Erachtens einiges verändert im Umgang miteinander. Das wurde noch befördert durch Corona. Die Spaltung und die Erfahrungen aus der Pandemie machen sich aus meiner Sicht im Ton, in der Haltung und in der Streitkultur bemerkbar. Aber schon vorher habe ich in den Auftragsklärungen Veränderungen wahrgenommen. Auf jeden Fall wollte ich noch besseres Handwerkszeug und auch mehr Hintergrundwissen zum Umgang mit diesen Anfragen bekommen. Einer Kollegin ging es ähnlich, so dass wir uns gemeinsam zur Mediationsausbildung angemeldet haben. 

2.    Was ist Dir aus der Ausbildung in Wirtschaftsmediation besonders in Erinnerung geblieben?

Unsere gesamte Ausbildung hat aufgrund der Pandemie online stattgefunden, was anfangs gewöhnungsbedürftig war, dann aber schnell normal. Ich fand sehr eindrücklich, wie die Gruppe zusammengewachsen ist und wie wertschätzend der Umgang miteinander war – trotz aller Eigenheiten und Herausforderungen, denen wir uns ja auch thematisch zu stellen hatten. Das haben Elke und Christian sehr souverän angeleitet und vorgelebt. Und insgesamt muss ich sagen, dass die Ausbildung immer noch nachwirkt. Das heißt, dass sie meine Sicht auf Menschen sehr verändert hat, was ich im Alltag sowohl im Verständnis für andere aber auch in einem wohlwollenderen Umgang mit mir selbst wahrnehme. Das ist auf jeden Fall bereichernd und sinnstiftend. Und ich habe einen sehr guten, neuen Kollegen kennen gelernt, mit dem ich heute zusammen arbeite und mit dem sich sogar eine Freundschaft entwickelt hat. Die Beziehung zu meiner Kollegin, mit der ich gemeinsam begonnen habe, hat sich vertieft. Wir haben auch eine Intervisionsgruppe, die sich weiterhin regelmäßig trifft. 

3.    In welchem Praxisfeld kommt die Wirtschaftsmediation bei Dir zum Einsatz? 

Ich bin selbstständige Beraterin und arbeite viel mit bundesweiten Patientenverbänden. Hier haben Konflikte aus unterschiedlichen Gründen zugenommen und ich kann mein neu erworbenes Wissen sehr gut anwenden. Daneben habe ich unterschiedlichste Anfragen für Mediationen zum Beispiel Nachbarschaftsstreitigkeiten und Familien, die sich wieder unbeschwerter und offener begegnen möchten, was mich sehr freut. Im Grunde ist es vor allem der soziale Sektor, den ich berate.

4.    Wie nutzt Du Ausbildungsinhalte persönlich?

Durch die Ausbildung habe ich erkannt, dass ich – sofern ich selbst verwoben bin – meine Bedürfnisse und Interessen klar formulieren muss. Als Beraterin ist man ja auch im privaten Umfeld nicht selten sehr auf die anderen ausgerichtet. Gegenseitiges Verständnis ensteht eben nur, wenn beide Seiten offen sind und das möglichst konstruktiv formulieren können. 

5.    Was war bislang Dein größter Erfolg im Bereich Mediation? 

Schwierige Frage, denn da wäre ja erst einmal zu klären, was ich als Erfolg definiere. Ich freue mich immer schon sehr, wenn diejenigen, die sich vorher nicht vorstellen konnten, nochmals miteinander zu reden, das dann wieder tun. Oder wenn eine Kündigung, die vorher als einziger Ausweg angesehen wird, dann gar kein Thema mehr ist. Menschen, die Mühe haben, sich zu öffnen und die das dann doch tun, das fasziniert ich unglaublich. Ein veränderter Umgang miteinander, der sich auch gesundheitlich bei den Beteiligten bemerkbar macht. Familien, die versuchen Vergangenes zu bewältigen und neue Wege finden wollen. Das sind alles Erfolge, bei denen es mir schwer fällt, eine Rangfolge zu bilden. 

6.    Welche Hürden siehst Du beim Einsatz der Mediation in Deinem Arbeitsfeld? 

Interessanterweise erlebe ich auf Seiten der Kunden keine zu großen Berührungsängste, im Sinne von Abwehr. Es ist allerdings so, dass vorab die Anstrengungen unterschätzt werden, die die Beteiligten solch ein Prozess – zumindest in den ersten Phasen – kostet. Und ich würde auch von den Herausforderungen sprechen, die ich dabei erlebe. Ich merke, dass jede Mediation anders ist, viel Aufmerksamkeit braucht – von der Auftragsklärung bis zum Abschluß oder Follow-Up. Es ist also wichtig zu prüfen, wie viele Ressourcen ich oder auch meine Kolleg*innen aktuell haben, um dauerhaft einen guten Job machen zu können. 

7.    Welchen Tipp hast Du für frisch gebackene Mediator*innen? 

Klingt banal, ist aber grundlegend und so wichtig: mediieren, wenn es geht! Und vor allem die Stressdynamik der Kund*innen, die sich manchmal bei uns ablädt, nicht persönlich nehmen.

8.    Hast Du ein persönliches Motto oder Lieblingszitat zum Thema Konflikt, das Dich begleitet? 

Es gibt da vieles, was ich hilfreich finde, vor allem Zitate von Marshall Rosenberg sind ja hoch gerankt in der Szene, wie zum Beispiel „Willst du recht haben oder glücklich sein?!“ Diese Sätze von Elke und Christian finde ich für meine Kund*innen zentral:

  • „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“
  • „Bedürfnisse sind nicht verhandelbar“
  • „Wir sind nicht im Zeichen der Harmonie unterwegs, sondern im Zeichen der Klarheit.“ 

Vielen Dank, liebe Christine, für Deine persönlichen Antworten und Sichtweisen.

Mehr über die Arbeit von Christine Kirchner, Organisationsentwicklerin und Coach, finden Sie im Web unter www.coaching-freiburg.eu

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