Mediation in der Praxis – Interview mit Dr. Jörg-Peter Schröder

In unserer Reihe „Mediation in der Praxis“ veröffentlichen wir Interviews mit ehemaligen Teilnehmenden der Ausbildung in Wirtschaftsmediation an der Zweisicht.Akademie. In diesem Beitrag stellt sich Dr. med. Jörg-Peter Schröder, Arzt und Executive Coach bei Frequenzwechsel, vor. Seit 15 Jahren hat er sich auf die Themen Burnout-Prävention und Unternehmensgesundheit fokussiert. Er war Teilnehmer in der 17. Ausbildung in Wirtschaftsmediation 2014/2015.

1. Was hat Dich dazu bewogen, die Ausbildung in Wirtschaftsmediation zu machen?

Vor der Weiterbildung bei Zweisicht habe ich in Unternehmen immer wieder Konfliktmoderationen und Mediationen durchgeführt. Dabei haben mich die Konflikte zwischen den Konfliktparteien nicht nur inhaltlich beschäftigt, sondern je nach Situation auch emotional belastet. In einem hocheskalierten Konflikt fliegen eben nicht nur verbal die Fetzen. Bei manchen Konfliktparteien lagen die Nerven blank. Mein Hauptanliegen für die Weiterbildung bei Christian und Elke war es, persönlich mehr Abstandsfähigkeit zu erlangen, um selbst unverbraucht aus der Reaktion gehen zu können. Vor allem nicht das Gefühl zu haben, dafür verantwortlich zu sein, wie die Konfliktparteien miteinander umgehen. Mehr Abstandsfähigkeit und Selbstempathie waren wichtige Schlüssel dazu. Während der Weiterbildung ist mir deutlich geworden, dass ich meiner Intuition trauen darf, wenn es um das Gelingen von konsensuellen Lösungen geht. Das hat für mich etwas mit Loslassen, sich Einlassen und lockerer Entspanntheit zu tun.

2. Deine Ausbildung bei Zweisicht ist nun fünf Jahre her. Was ist Dir besonders in Erinnerung geblieben?

Die wertschätzende Art von Elke und Christian, der weite Rahmen und der gegenseitige Respekt. Was mir gut gefallen hat, war das hohe Maß an Empathie und die Gemeinschaft in der Gruppe. In den Modulen gab es stets Zeit und Raum für Begegnung – mit sich selbst und anderen. Und mich hat es gestärkt, dass es weniger um Techniken als um Wertschätzung, Empathie und innere Haltung geht.

3. Hast Du Dich im Bereich Wirtschaftsmediation danach weiter spezialisiert?

Ja, mein Hauptfokus sind Transformationsprozesse im individuellen und organisationalen Kontext. Gerade bei der Prävention eines organisationalen Burnouts und dessen Konfliktpotenzials geht es mir hauptsächlich um die innere Haltung der Führungskräfte, wie gesunde Entwicklung gelingt, damit Unternehmen organisch wachsen können.

4. Wie nutzt Du die Mediation heute?

Da ich hauptsächlich in Unternehmen unterwegs bin, in denen es in Transformationsprozessen zum Knirschen gekommen ist, bin ich als Mediator quasi am Ende der Prozesskette tätig. Die Mediation kommt immer dann zum Tragen, wenn Konflikte eskalieren und es intern nicht mehr geht. Mediation wird dann als eine Art „Feuerwehrlöschaufgabe“ verstanden. „Wir brauchen Sie!“ ist die Handlungsaufforderung.
Ziel meines Handelns ist es, die Wahrnehmung zu schärfen, damit sich ein neues Bewusstsein entwickeln kann, um eine neue Kultur anzulegen. Dies mit dem Ziel, mehr Prävention auf Basis eines salutogenetischen Vorgehens von gesunder Führung zu implementieren. Die Elemete der Mediation nutze ich in fünf Facetten:

1. Echte Mediation:
Der Schwerpunkt liegt auf konsensualen Konfliktlösungen zwischen Führungskräften als Konfliktparteien.

2. Konfliktprävention:
Da mein Hauptfokus die Unternehmensgesundheit ist, ist die Konfliktprävention ein maßgeblicher Teil meines integralen Wachstumskonzepts.

3. Ausbildung zum integralen Business-Facilitator:
Mit Business Facilitation meine ich eine integrale Führungskunst im Kontext von Agilität, Konfliktlösung, Stressmanagement, Burnout-Prävention und Resilienz. Bei Frequenzwechsel haben wir vor 10 Jahren damit begonnen, Führungskräften ein modulares und integrales Leadership-Progamm anzubieten, welches eine ressourcenorientierte Haltung im Umgang mit Konflikten und Burnout vermittelt.  

4. Verknüpfung der Konfliktthematik mit anderen Bereichen:
Um über den Tellerrand schauen zu können und Konfliktlösung körperlich spürbar zu machen, arbeite ich in Gruppen mit Führungskräften häufig mit Elementen sowohl aus der Kampfkunst als auch dem Tango-Argentino, um ein direktes Feedback von Kommunikation und Körpersprache erfahrbar zu machen.

5. Zur Bearbeitung intrapsychischer Konflikte:
Im Coaching nutze ich nutze ich Konfliktlösungsansätze bei der Bearbeitung von inneren Konflikten. Gerade bei Best-Agern tauchen diese Themen als bedrohlich auf, wenn innerbetriebliche Reorganisationen in Unternehmen zu Stress, Angst und Verunsicherung führen. Empathie und das Beleuchten von Bedürfnissen und Befürchtungen sind dabei sehr wichtig.

5. Was war bislang Dein größter Erfolg im Bereich Mediation?

Erfolg hat für mich etwas von Sieg und Niederlage. Mir geht es nicht mehr um Gewinnen oder Verlieren, sondern um gemeinsames Gestalten, Wirksamkeit, Gelingen und gegenseitiges Verständnis. Das für mich berührendste Ereignis in einer Mediation zwischen zwei Vorständen war die Äußerung einer Konfliktpartei, dass er sich selbst wieder als Mensch hat spüren dürfen – mit all seinen Bedürfnissen, Befürchtungen und Verletzlichkeiten. In der Wahrnehmung seiner Hauptbereichsleiter gab er sich als der „harte Knochen“, der taff entscheidet. Doch in der Mediation mit seinem Vorstandskollegen waren hinter der Wut und Enttäuschung plötzlich Menschlichkeit spürbar. Das Echt-Sein-Dürfen und sich Zeigen-Können war der Schlüssel für eine neue Art der Begegnung zwischen beiden Konfliktparteien und hat zu einem „Durchrutschen“ des Mediationsprozesses geführt.

6. Welche Hürden siehst Du beim Einsatz der Mediation in Deinem Arbeitsfeld?

Die Hürden sind aus meiner Sicht auf unterschiedlichen Ebenen:

1. Auf der Ebene der Unternehmen:
Eine Herausforderung von Unternehmen ist die Einschätzung, dass es für Veränderungsprozesse bis auf strategische Unternehmensberater keine professionelle Unterstützung braucht. „Wir holen Sie, wenn es kritisch wird“ – so die Haltung vieler Unternehmensleitungen. Zudem sind viele Unternehmen immer noch unter dem Diktat von Effizienz und Kostendruck. Das macht extrem eng. Aus meiner Sicht wäre es viel sinnvoller, präventiv ein Bewusstsein zu schaffen, welches dazu beiträgt, dass Konflikte erst gar nicht entstehen. In einer Haltung, die bereit ist, sich auf Neues einzulassen.

2. Auf Ebene der Teams:
Keine Zeit und zu wenig Ressourcen. Der Mensch ist ein regeneratives Unternehmen. Eine ressourcenorientierte Selbstorganisation ist ein Schlüssel für eine gesunde Konfliktlösung. Im Sinne eines professionellen Team- und Stressmanagements gilt es, die Wahrnehmung für das wirklich Wesentliche zu schärfen und sich Zeit und Raum für echte Begegnung zu geben.

3. Auf der Ebene des Individuums:
Fehlende Selbstreflexion. Reflexion hilft uns, der gefühlten Opferhaltung zu entkommen – und damit auch dem Jammern, dem Gefühl der Ohnmacht und der Resignation. Sie hilft uns, in die Selbstverantwortung zu kommen und gibt uns Gestaltungsmöglichkeiten für unser Leben an die Hand.

7. Welchen Tipp hast Du für (frisch gebackene) Mediator*innen?

Bleib ergebnisoffen. Ohne zu viel (eigenes) Wollen. Halt Dich selbst raus. Das war für mich das Allerschwierigste. Und wenn es schwierig wird, hilft immer: Einatmen, Ausatmen, Weiteratmen. Das gibt wieder neue Vitalkapazität. Und schafft Raum und Zeit. Mir hat immer geholfen, dass ein Mediator keine Lösung MACHEN kann. Er kann lediglich dazu beitragen, dass eine konsensuale Lösung ENTSTEHEN kann.

8. Hast Du ein persönliches Motto oder Lieblingszitat zum Thema Konflikt, das Dich begleitet?

Bei Microsoft hatte ich vor vielen Jahren einen Associate, der extrem locker unterwegs gewesen ist. Wenn es im Team wirklich heiß her ging, sagte er als Engländer immer: „Calm down, stay cool and carry on“. Das ist für die Mediation eine sehr gute innere Haltung. Mir hat es in vielen Mediationen geholfen, locker zu bleiben.

 

Mehr Informationen zu Dr. med. Jörg-Peter Schröder finden Sie im Netz unter www.joergpeterschroeder.com und www.frequenzwechsel.de.


Foto © Studio Zeta, Bad Soden

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