Mediation in der Praxis – Interview mit Ulrike Blumenschein

In unserer Reihe „Mediation in der Praxis“ interviewen wir ehemalige Teilnehmende der Ausbildung Wirtschaftsmediation an der Zweisicht.Akademie. Heute im Gespräch ist Ulrike Blumenschein, Change Managerin bei der DB Systel GmbH. Sie war Teilnehmerin der 19. Ausbildung Wirtschaftsmediation 2015 an der Zweisicht.Akademie.

1. Was hat Dich dazu bewogen, die Ausbildung in Wirtschaftsmediation zu machen?

Ich begleite seit vielen Jahren Menschen und Organisationen in ihren Veränderungen. In Veränderungsprojekten kommt es häufig zu Konflikten. Die klassischen Seminare „Umgang mit schwierigen Mitarbeitern“ haben mir nicht gereicht – ich wollte mehr Hintergründe, wollte mehr Handwerkzeug und vor allem wollte ich mediieren können. Häufig hatte und habe ich es im beruflichen Kontext mit kalten Konflikten zu tun, die Menschen nach meinem Erleben viel stärker belasten als heiße Konflikte, durch die Ohnmachtsgefühle, stures Beharren auf eigenen Standpunkten, Vorschriften, starre Regelungen, Aufbau von unsichtbaren Mauern, Silodenken, Zynismus und wenig Empathie für andere.

Mir ist Konfliktprävention wichtig ist – also Rahmenbedingungen in der Organisation zu schaffen, die es zulassen, sich gegenseitig Feedback zu geben, in denen es möglich ist, kritische Fragen zu stellen und frühzeitig Konflikte anzusprechen. Organisationen brauchen zum Überleben Innovationen. Und Innovationen entstehen da, wo Reibung und Disput möglich ist. Reibung erzeugt auch Wärme. Auseinandersetzungen, Konflikte sind also per se nichts Schlimmes, sondern der Umgang mit ihnen.
Ob man Konflikte anspricht oder unter den Teppich kehrt und ob es kulturell möglich ist, Konflikte anzusprechen und gleichzeitig wertschätzend mit den Menschen umzugehen. Wenn ich über Konfliktmanagement spreche, rede ich gleichzeitig über Streitkultur und den Umgang miteinander.

2. Deine Ausbildung bei Zweisicht ist nun 2 Jahre her. Was ist Dir besonders in Erinnerung geblieben?

Die Atmosphäre bei Zweisicht in der Akademie, das hohe Niveau der Ausbildung, die fachliche Expertise der Ausbilder, in meinem Falle Elke und Christian und natürlich der Austausch in der Gruppe. Mit einigen bin ich noch immer im engen kollegialen und freundschaftlichen Austausch. Und ich nutze auch gerne die offenen Seminare, um mich weiterzubilden.

3. Hast Du Dich im Bereich Wirtschaftsmediation danach weiter spezialisiert?

Ja, ich habe noch eine Ausbildung in Lösungsfokussierter Gesprächsführung gemacht und mich intensiv mit Arbeiten in selbstorganisierten, agilen Teams beschäftigt und bin grade in einer Ausbildung zum Systemdesigner.

4. Wie nutzt Du die Mediation heute?

Ganz vielfältig – vor allem im beruflichen Kontext. Unser Unternehmen durchläuft gerade einen großen Veränderungsprozess – sowohl technologisch als auch kulturell. Der eine Change geht nicht ohne den anderen. Dazu gehört unter anderem eine veränderte Form der Führung. Bis Ende 2020 wird es die klassische Führungskraft bei uns nicht mehr geben. Die Aufgaben der Führungskraft werden auf die Rollen Agility Master, Product Owner und das Umetzungsteam verteilt – eine sehr an Scrum (eine agile Metode) orientierte Rollenaufteilung. Diese Veränderungen verursachen Stress, große Verunsicherung und zum Teil auch Widerstand. Das steigert das Konfliktpotential, mindert unter Umständen die Resilienz des Einzelnen und der Organisation. Ich habe  ein Ausbildungskonzept für interne Prozessbegleiter, sogenannte Agile Instructor, entwickelt und darf es auch umsetzen. Dazu gehören die theoretische Schulung und das praktische Handwerkszeug für den Umgang in Veränderungsprozessen, ein grundlegendes Verständnis für Systemisches Denken und Handeln, für mediatives Konfliktmanagement, Lösungsfokussiertes Coachen und Resilienz auf den Ebenen Individuum, Team und Organisation – mit weiteren Elementen umfasst diese Aus-und Fortbildung rund 20 Tage, die innerhalb eines Jahres zu absolvieren sind.

Wenn ich Mediationen durchführe bin ich im Bereich des Kurativen. Wir wollen präventiv tätig sein und nicht nur kurativ. Wir halten Konfliktprävention für essentiell wichtig, also die Arbeit an einem anderen Umgang miteinander. Wir kommen aus stark hierarchischen Strukturen. Das braucht zum einen das Wollen der Veränderung beim Top-Management sowie Zeit, viel Engagement, Frustrationstoleranz, Geduld und heitere Gelassenheit. Eine mediative Haltung hilft dabei durchaus.

Wir haben zahlreiche Institutionen und Gremien im Konzern und im Unternehmen – die sich alle mit Konflikten und/oder deren Auswirkungen beschäftigen. Wir haben jedoch nicht viel, was die Zusammenarbeit all dieser Gremien/Instanzen verbindet. Uns fehlen niedrigschwellige Angebote als erste Anlaufstellen bei Konflikten.  Dies wollen wir mit dem Aufbau eines Betrieblichen Konfliktmanagementsystems schaffen. Dabei arbeiten wir eng mit dem Mediatorenpool der Deutschen Bahn, der Ombudsfrau und dem Diversity Management zusammen. Aus diesen drei Gremien und unserem Arbeitsdirektor besteht unser SoundingBoard als Impuls- und Feedbackgeber.

5. Was war bislang Dein größter Erfolg im Bereich Mediation?

Wenn ich erlebe, wie Menschen wieder in Beziehung kommen zueinander, wenn Verständnis für den anderen, die andere Sichtweise entsteht und wie sich Zusammenarbeit erst langsam und dann immer spürbarer verändert und nachhaltig verbessert. Als sich aus einer Mediation in einem neu gegründeten Geschäftsbereich ein Lessons Learned über diese Reorganisation ergab mit allen an diesem Prozess Beteiligten – also HR, Betriebsrat, Vertretern aus den Fachbereichen und wir haben konkret vereinbart, wie wir künftig in einem solchen Prozess vorgehen.

6. Welche Hürden siehst Du beim Einsatz der Mediation in Deinem Arbeitsfeld?

Ich würde es nicht als Hürden bezeichnen, eher als Herausforderungen. Ich erlebe die Verwendung des Begriffes Mediation als eine „Schaff-mir-das-Problem-vom-Hals“ -Erwartung. Das hat nicht viel mit Mediation zu tun. Da wird einer Mediation zugestimmt, weil geglaubt wird, dass es als „sozial erwünschtes Verhalten“ gilt. Es braucht noch viel Aufklärungsarbeit über das Verfahren. Wir haben im Deutsche Bahn Konzern Konzernbetriebsvereinbarungen zum Kollegialen Miteinander , zur Gleichbehandlung und zum Schutz vor Diskriminierung und zum Einsatz von Mediation als konstruktiver Konfliktlösung – sie sind zu wenig bekannt. Oder die Konfliktfolgekosten  werden nicht gesehen, wollen nicht gesehen werden. Eine sinkende Produktivität, miese Stimmung im Büro kann anstecken. Wenn Menschen durch Konflikte am Arbeitsplatz krank werden, belastet das meist nicht nur die Betroffenen, sondern ihr gesamtes Umfeld. Das kann weitreichende und langfristige Auswirkungen haben. Menschen, die durch Konflikte und Stress länger krank werden, sind trotz großer Bemühungen häufig schwerer in den Arbeitsalltag zu integrieren und weniger belastbar als vor diesen Ereignissen. Gleichzeitig kommen durch die veränderte Arbeitsorganisation und eine größere Verantwortung im Team im Rahmen von Selbstorganisation und Agilität auch größere Herausforderungen auf Teams, Agility Master und Product Owner zu und auch die gilt es zu begleiten.

7. Welchen Tipp hast Du für (frisch gebackene) Mediator/innen?

 

Vernetzen, weiterbilden und einfach mal machen.
 

8. Hast Du ein persönliches Motto oder Lieblingszitat zum Thema Konflikt, das Dich begleitet?

„Wir können nur zu neuen Ufern aufbrechen, wenn wir bereit sind, die alten zu verlassen.“ (Laotse)

 

Foto © Michael Kleinespel

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